A blog on why norms matter online

Wednesday, May 14, 2014

Der EuGH, Google und das Vergessen: Was sagt das Urteil wirklich?

Ich habe auf juwiss.de das EuGH-Urteil im Fall Rs C-131/12, Google Spain SL und Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos (AEPD) und Mario Costeja González besprochen. 

Hier nun eine ausführlichere Version meines dortigen Blogbeitrags mit einigen einleitenden Kommentaren und etwas Kontext zur Rolle von Google.

Ja: Das Google-Urteil des EuGH ist heute in aller Munde. Markus Beckenndahl ist eher positiv gestimmt, während Udo Vetter die Gefahr sieht, dass Suchmaschinen noch „weniger die Wirklichkeit“ abbilden als heute. Thomas Stadler setzt das Urteil mit den Netzsperren gleich und sieht einen „gefährlichen Paradigmenwechsel“. Die Politik hingegen – so Bundejustizminister Heiko Maas, der gründe EP-Abgeordnete und Datenschutzvorkämpfer Jan Philipp Albrecht und Peter Schaar, der ehemalige Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit   ist erfreut.

Urteil in aller Munde

Besonders glücklich sind die „konservativen Google-Kritiker in den Zeitungen“, wie der Perlentaucher  leicht süffisant schreibt, die eigentlich „ihre eigene gerichtlich verfügte Irrelevanz“ bejubeln. Die Welt spricht von einem Schritt zur „Rückeroberung des Cyberspace für den Internetbenutzer". 

Andererseits hat die Satire-Seite des Spiegels durchaus Recht: Die weltweite Berichterstattung über den Kläger garantiert, dass nun jeder weiß, dass er einmal gefpändet wurde. In der digitalen Zeit sind die Michael Kohlhaases unserer Zeit sicher im Nachteil.   

Diese Dimension sehen die Zeitungen aber heute nicht. In der FAZ titelt Reinhard Müller, dass die Welt „keine Google“ sei und kopiert eine Wendung von Google-Kritiker Gerald Reischl aus einem vor sechs Jahren erschienen Buch. Müller schreibt siegesbewusst, dass Google – „der Riese“ – „getroffen“ sei.  Triumphtöne klingen an, wenn er fortfahrt:

„Der mächtigste Konzern der Welt ist einer Macht unterlegen, die keine Truppen hat. Der Europäische Gerichtshof setzt den Bürger in den Mittelpunkt und dem Internetsuchdienst Google Grenzen.“

Er schreibt auch, dass „[j]eder Betroffene hat einen Anspruch gegen Google auf Löschung sensibler Daten.“ Dies ist zu unscharf. Der Anspruch bezieht sich nur auf bestimmte Daten und nur auf die Ergebnisliste. Ebenfalls inexakt ist Mathias Müller von Blumencron, wenn er  ebenfalls in der FAZ schreibt, dass es nun „doch ein Recht auf Vergessen werden im Internet“ gibt. Nein: das gibt es nicht.

Gleich daher an dieser Stelle: Wenn Informationen „in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls“ nicht mehr zweckerheblich verarbeitet werden, müssen „die betreffenden Informationen und Links [aus] der Ergebnisliste gelöscht werden“ (Abs. 94). Dieses Recht des Einzelnen ist  abzuwägen gegenüber den wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers und „dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden“, wobei solch eine Situation aber die Ausnahme sein werde, da „besondere[] Gründe[]“, wie  die „Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben“  vorliegen müssten, die den Schluss zulassen, dass ein Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an ihr gerechtfertigt sei (Abs. 97).

Die konkreten Auswirkungen des Urteils sind naturgemäß unklar. Ein Indiz dafür, dass sich nicht viel ändern wird, könnte die Tatsache sein, dass es nach dem Autocomplete-Urteil des BGH keine Klagswelle gegen Google gegeben habe, wie die FAZ einen Anwalt zitiert.


Anlass zum Google-Bashing?

Das große mediale Echo des Urteils versteht man vor dem Hintergrund der in den letzten Wochen geführten Debatte um die Rolle von Google

Nachdem Mathias Döpfner in Feuilleton der FAZ in Reaktion auf ein Selbstlob Eric Schmidts leicht larmoyant nach staatlicher Regulierung rief, begann eine doch bemerkenswerte Diskussion um die Rolle von Google in der Informationsgesellschaft. Überschriften wie „Angst vor Google“, Google ou  la route de la servitude“, Warum wir Google fürchten” , „Die Google-Gefahr“, „Dark Google“ schafften ein Klima, in dem nur schwer sachlich argumentiert werden konnte.

Harvard-Professorin Shoshana Zuboff etwa warf Google neo-absolutistische Machtfülle vor und schrieb „[o]ur demands for self-determination are not easily extinguished.  We made Google, perhaps by loving it too much.” Zu viel Liebe für Google kann man dem Feuilleton zur Zeit nicht vorwerfen. Besser aber als grundsätzliche Kritik  sind Diskussionen über Alternativentwürfe, wie einen freien Web-Index.

Was sagt das Urteil wirklich?

Große Kammer des EuGH hat mit Urteil vom 13.5.2014 zu Rs C-131/12, Google Spain und Google, die Rechte von Bürgern im Internetzeitalter maßgeblich gestärkt. In einem 2012 von der spanischen Audiencia Nacional initiierten Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung von Art. 2 Datenschutzrichtlinie (RL 95/64) und den Grundrechten auf Datenschutz und Achtung der Privatsphäre wies der EuGH Google an, erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um bestimmte personenbezogene Daten aus dem Index der Suchmaschine zu entfernen und den „Zugang zu diesen Daten in Zukunft zu verhindern“ (Abs. 2).

Mario Costeja González hatte vor der AEPD Beschwerde gegen La Vanguardia, eine katalonische Zeitung, Google Spain und Google Inc. erhoben, da eine Google-Suche nach seinem Namen (‚Namenssuche‘) zu Links auf zwei Artikel aus der Zeitung vom 19.1. und 9.3.1998 führt, in denen unter Nennung seines Namens auf die Zwangsversteigerung eines Grundstücks hingewiesen wird. Die Audiencia Nacional, vor der das Verfahren landete, ersuchte den EuGH um Klärung der Verpflichtungen von Suchmaschinenbetreibern hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten im Lichte von GRC und DatenschutzRL und der Tragweite des „Rechts auf Vergessenwerden“.

Erhebliche Gefahr für Grundrechte

Zunächst wies der EuGH Googles Argument zu Art. 2 (b) RL 95/46 zurück, dass Suchmaschinen keine Daten verarbeiteten, da sie nicht zwischen personenbezogenen Daten und anderen Informationen unterschieden (Abs. 22). Der Suchmaschinenbetreiber sei auch „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ iSd Art. 2 (d) RL 95/64  (Abs. 33), zumal Suchmaschinen „maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung personenbezogener Daten“ hätten. Ohne sie würden nach bestimmten Namen Suchende diese Informationen nicht finden (Abs 36). Dies gefährde Grundrechte „erheblich“; und deshalb hätten Suchmaschinenbetreiber in ihrem „Verantwortungsbereich im Rahmen [ihrer] Befugnisse und Möglichkeiten“  dafür zu sorgen, dass grundrechtliche Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten können (Abs. 38).

Hinsichtlich der räumlichen Anwendbarkeit der RL betonte der EuGH, dass der Unionsgesetzgeber aus Schutzgründen einen besonders „weiten räumlichen Anwendungsbereich“ vorgesehen habe (Abs.54) und daher Verarbeitungen von personenbezogener Daten „im Rahmen der Tätigkeiten“ einer Niederlassung nicht dadurch ausgeschlossen werden können, dass die Verarbeitung selbst außerhalb des Territoriums (etwa in den USA) durchgeführt werde. Es reiche aus, wenn der Suchmaschinenbetreiber aus wirtschaftlichen Erwägungen eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gegründet habe, „ deren Tätigkeit auf die Einwohner dieses Staates ausgerichtet“ sei; wo die konkrete Verarbeitung der Suchanfrage stattfinde, könne dahingestellt bleiben.

Link-Löschpflicht für Google

Die zentrale Kontroverse  lag allerdings im Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers nach der Richtlinie 95/46, insbesondere in der Frage, ob Suchmaschinenbetreiber dazu verpflichtet werden können, Links zu Webseiten Dritter mit Informationen zu einer bestimmten Person zu entfernen, auch wenn Name und Informationen auf dieser Webseite nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht würden und wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten des Dritten als solche rechtmäßig sei (Abs. 62). Google war dagegen der Ansicht, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete, dass Löschungsanträge an den Herausgeber der betreffenden Website  zu richten seien (Abs. 63). Diesem Ansatz folgte der EuGH nicht.

(Detail am Rande: Als einzige Regierung vertrat die österreichische die Auffassung, dass Löschungsanordnungen an Suchmaschinen nur möglich seien, wenn die betreffenden Daten „rechtswidrig oder unzutreffend seien“ oder schon von der ursprünglichen Website gelöscht wurden (Abs. 64)).

Der EuGH betont, dass die RL 95/64 im Lichte der Grundrechte auszulegen sei und insbesondere Art. 7 (Recht auf Achtung des Privatlebens) und Art. 8 GRC (Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten) zu beachten seien (Abs. 68f). Die durch Suchmaschinenanbieter ausgeführte Verarbeitung persönlicher Daten könne die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz „erheblich beeinträchtigen“, da Namenssuchen einen „strukturierten Überblick“ über Informationen zu dieser Person ermöglichen. Außerdem verleihe die gesellschaftliche Funktion des Internets den Suchergebnissen Ubiquität  (Abs. 80).

Gesucht: Angemessener Interessensausgleich

Allerdings sei ein angemessener Ausgleich zwischen dem „berechtigte[n] Interesse von potenziell am Zugang zu der Information interessierten Internetnutzern“ und den Grundrechten der betroffenen Person aus den Art. 7 und 8 der Charta zu finden. „[I]m Allgemeinen“ würde dieser Ausgleich zugunsten der gesuchten Person ausgehen, in „besonders gelagerten Fällen“ könne er aber „u.a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt“ variieren (Abs. 81).

Das Fazit des EuGH daher: Suchmaschinenbetreiber könnten von Datenschutzbehörden angewiesen werden, aus der Ergebnisliste von Namenssuchen Links zu Seiten von Dritten mit Informationen über diese Person zu entfernen (Abs. 82, 88).

Ein Recht auf Vergessenwerden?

Hinsichtlich des Rechts auf Vergessenwerden verweist der EuGH darauf, dass die rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten durch Zeitablauf unrechtmäßig werden könne, wenn der Zweck wegfalle oder in Anbetracht der verstrichenen Zeit die Erheblichkeit der Daten für den Ursprungszweck sinke (Abs. 93).

Hier sei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen: Wenn die Informationen „in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls“ nicht mehr zweckerheblich verarbeitet wird, müssen „die betreffenden Informationen und Links der Ergebnisliste gelöscht werden“ (Abs. 94). Dies sei ein Recht der betroffenen Person, wobei ein Schadensnachweis nicht nötig sei (Abs. 96).

Verabsolutiert dürfe das Recht nicht werden: Es sei abzuwägen gegenüber den wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers und „dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden“. Solch eine Situation werde aber die Ausnahme sein, denn der EuGH verlangt „besondere[] Gründe[]“, wie  die „Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben“ , die den Schluss zulassen, dass ein Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an ihr gerechtfertigt sei (Abs. 97).

Im Anlassfall sei die die Information sensibel, die Veröffentlicht liege 16 Jahre zurück und keine besonderen Gründen lägen vor, die ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigten (Abs. 98). Daher müsse Google den Link löschen.
Überraschende Wende

Dieses Ergebnis überraschte auch, weil noch die Schlussanträge des Generanwalts Niilo Jääskinen vom 25.6.2013 zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen waren. Er wies ein allgemeines Recht auf Vergessenwerden mit starken Worten („kämer einer Geschichtsverfälschung gleich“) zurück (Abs. 108 und 129). Vielmehr habe der Internetnutzer ein Recht auf Zugang zu dieser Information: Dieser „mache aktiv von seinem Recht auf Empfang von Informationen über die betroffene Person aus öffentlichen Quellen Gebrauch“ (Abs. 130). Auch der  Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter mache Gebrauch von seiner unternehmerischen Freiheit und von der Freiheit der Meinungsäußerung (Abs. 132). Einem Recht auf Vergessenwerden, so GA Jääskinen, würden entscheidende Rechte wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit geopfert.

Grundrechtliche Geschichtsmassage

In der Tat stellt die Kollision verschiedener Grundrechtspositionen hinsichtlich Zugang zu Informationen gerade im Internet eine Herausforderung dar. Die Konstruktion historischer Wahrheiten auf Grundlage einer gesellschaftlichen und privaten Selektion aus dem eines Speichers der Erinnerungen verlangt zumindest einmal einen einigermaßen unverfälschten Speicher.  Wie sonst sich kollektive Positionieren in Zeit, Raum und Kultur? Allerdings übersieht GA Jääskinen, dass ja nicht Geschichtsfälschung betrieben wird. Auch weiterhin kann jeder Interessierte im Archiv von La Vanguardia sämtliche Zeitungsseiten bis ins 19. Jahrhundert konsultieren. Die Löschung des Links bedeutet bloß, dass die Verknüpfung zum Namen nicht mehr so leicht fällt. Dies entspricht durchaus der sozialisierenden Funktion des Vergessens, die ja auch teils strafrechtlich bewehrt ist.

Die Entscheidung des EuGH, die im Ergebnis stimmig ist und der gerade in Hinblick auf die wachsende Bedeutung des Grundrechtsschutz im Internet zuzustimmen ist, verbleibt teilweise kryptisch. Der Kritierienkatalog für Gegenausnahmen von der Löschpflicht – „u.a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt“ – verbleibt sehr schemenhaft. Man vermisst auch klare Äußerungen zur grundrechtlichen Position der Interdiensteanbieter, die zuletzt vom EGMR in Delfi unter Beschuss genommen wurden.
Screenshot der Namenssuche: 13.5., 15:30 Uhr

Der Internetrechtler Viktor Mayer-Schönberger argumentiert in Delete, dass Informationen im Internet nach einer Zeit gelöscht werden sollten, um Vergessen zu simulieren. Mit der Löschpflicht für Links hat der EuGH dem Konzept der „expiration dates for information“ eine grundrechtssensiblere Alternative zur Seite gestellt. Nur die Zeit wird zeigen, ob das Urteil als Einfallstor für „Geschichtsmassage“ missbraucht wird und ob auch Unternehmen beginnen werden, mithilfe des EuGH ihr Auftreten in Google zu optimieren. Bei Löschansprüchen für schlechte Reviews von Restaurants zB wird aber wohl regelmäßig das öffentliche Interesse dominieren.

Ganz so schnell arbeitet Google übrigens nicht. Am 13.5., um 15:30 Uhr lieferte eine Namenssuche nach „Mario Costeja Gonzalez“ über Google Search den Link auf die inkriminierte Seite im La Vanguardia Archiv immer noch als dritten Treffer.

Aber eines wird Herrn Costeja freuen: Der erste Treffer ist nunmehr das Urteil, das ihm Recht gibt. 

Nachtrag: Auch am 14.5., 12:00 Uhr, ist der Link noch zu sehen. Diesmal als vierter Treffer: 

Screenshot der Namenssuche: 14.5., 12.05 Uhr

Monday, May 12, 2014

Internetvölkerrecht: Heiß umfehdet, wild umstritten

Der neue Blog für junge Völkerrechtsinteressierte
Was EJIL:Talk! für englischsprachige VölkerrechtlerInnen, JuWiss für das öffentliche Recht, der theorieblog für die Rechtstheorie und Markus Beckendahls netzpolitik.org für Internetpolitik, ist nun der Völkerrechtsblog für die jungen Völkerrechtsinteressierten.

Das engagierte Team aus Heidelberg eröffnet mit einem Symposion in rascher Folge veröffentlichter Beiträge zum zentralen Thema "Zukunft des Völkerrechts". Wie Dana Schmalz und Michael Riegner vom Redaktionsteam schreiben,

"Anhand konkreter Streitfragen diskutieren NachwuchswissenschaftlerInnen inhaltliche, methodische und transdisziplinäre Aspekte der Zukunft des Völkerrechts und seiner Wissenschaft in ihrem spezifischen Forschungsgebiet. Wie wird sich das Völkerrecht im jeweiligen Forschungsfeld in den nächsten 30 Jahren verändern? Wie wandeln sich Völkerrechtssubjekte, Streitbeilegung, internationale Institutionen? Wie die Nord-Süd-Beziehungen, wie das Verhältnis von Geschlecht und Recht? Wie beeinflussen technologische Entwicklungen das Völkerrecht und die Kommunikation über Völkerrecht? Welche Methoden werden kommen und gehen?"
 Eröffnet wurde der Blog mit einer Diskussion zum Internetvölkerrecht. Auf meine Proposition antwortete Michael Riegner; und ein Rejoinder von mir schloss sich an, der aber nicht darauf abzielte, die Debatte um die Rolle von Völkerrecht in der Regulierung des Internets zu beschließen - denn für diese ist die Zeit reif.

Sämtliche Beiträge sind auf dem Völkerrechtsblog nachzulesen:

Die Berichte über den Tod des Internetvölkerrechts sind stark übertrieben: Eine Antwort auf Michael Riegner

 Von Matthias C. Kettemann

 Ich begrüße die Möglichkeit, über meinen „Glauben an [die] Gestaltungskraft und [das] Gerechtigkeitspotenzial des Völkerrechts“ zu diskutieren, darf aber gleich darauf hinweisen, dass bestimmte Festlegungen nötig sind, um nicht in infinite Regresse abzugleiten. Schwierig wird es, wenn selbst das Gerechtigkeitspotenzial der völkerrechtlichen Ordnung in Abrede gestellt wird. Warum noch über die konkrete Ausgestaltung des Völkerrechts reden, wenn die normativ eingehegte Ordnung ohnedies nicht gerecht sein kann – da sie „hegemonial“ beeinflusst ist.

Das erinnert dann doch stark an staatskritische Ansätze, die dem Recht die Legitimation absprechen (und es als vermachtet sehen), weil es das Recht der Mächtigen (die Macht haben) ist. Aber Recht ist nicht (nur) Macht, wie ich hier gezeigt habe: das Völkerrecht ist eben keine Machtordnung, sondern eine (imperfekte) Rechtsordnung – und eine Rechtsordnung aus Notwendigkeit. Wer überall nur Macht und Vermachtung sieht (im Recht, in den Praktiken, in der Sprache …) und nicht auch normative Ordnung(en), verkennt die faktische Kraft des Normativen und fällt in kognititionspsychologischer Betrachtung Verfügbarkeitsheuristiken zum Opfer. 

(Man liest zur Zeit häufig: „Das Völkerrecht ist zahnlos. Es hindert Putin ja nicht, die Krim zu annektieren“. Wie verfehlt die Grundannahme hinter dieser Aussage ist, zeigt eine nationale ‚Übersetzung‘ aus eigener leidvoller Erfahrung: „Das österreichische Recht ist zahnlos. Ein Dieb hat mein Rad geklaut.“ Der Dieb weiß, dass er das Recht bricht. Er stiehlt, um sein Eigentum zu mehren. Er hat besonders Interesse an einer Eigentumsordnung, die das Recht stabilisiert. Interessengeleitetes Handeln (im Einzelfall) und regelgeleitetes Handeln (im Grundsatz) müssen sich nicht widersprechen.) 

Völkerrecht und dessen Grundsätze können und sollen diskutiert werden, seine Annahmen müssen hinterfragt werden, aber das Gerechtigkeitspotenzial des Völkerrechts kann nicht in Frage gestellt werden, ohne dem Diskurs die gemeinsamen diskursiven und normativen Grundlagen zu entziehen. 

Es ist wohl auch nicht eine „deutsche“ Tradition, der ich folge, sondern eher eine kritisch-positivistische Tradition, der ich mich verbunden sehe. Verbunden fühle ich mich auch Michael Riegner, wenn er das Internetvölkerrecht als „interessen- und machtdurchwirkter Flickenteppich“ beschreibt, der „determiniert [wird] durch politische und ökonomische Ungleichheiten“, der „widersprüchlich, hegemonial und potentiell ungerecht“ sei. Ich würde nur hinzufügen: „wie das Recht generell“, „auch“, „teilweise“, „manchmal“ – und dann darüber anfangen zu diskutieren, wie das Internetvölkerrecht im Lichte der Ziele der internationalen Gemeinschaft, wie sie sich unter anderem aus der UN-Charta, den Menschenrechten und den nachhaltigen Entwicklungszielen ergeben, fairer ausgestaltet werden kann – und das ist das höchste Ziel jeder Völkerrechtspolitik. Doch nun zu Michael Riegners Gegen-Thesen im Einzelnen:

„1. Internetpolitik ist von globalen Interessenkonflikten geprägt“
Dem kann ich nur zustimmen. Doch in Abrede zu stellen, dass sich ein „globales Interesse an der Integrität und Funktionalität des Internet […] begründen“ lässt, ist problematisch. Von den Schlussdokumenten des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft über die Prinzipiensammlungen diverser internationaler Organisationen herrscht hier Einigkeit.
Geltendes Völkerrecht schützt funktional die Integrität des Internets, um bestimmte Ziele – wie den Schutz der Menschenrechte und die menschliche Entwicklung – zu erreichen. Die richtige Feststellung, dass die „Realität des Internets […] von Interessenkonflikten, nicht von Interessenkonvergenz geprägt [ist]“, steht mit dem vorher Gesagten nicht im Widerspruch. Michaels Aussage müsste nur qualifziert werden, damit ich sie unterschreiben kann. Die Realität des Internets ist auch von Konflikten gesprägt und nicht nur von konvergierenden Interessen. Aber das ist wahrlich nicht überraschend. Denken wir an den Staat: Ja, es herrschen Interessenkonflikte (über Pensionen, Armutsbekämpfung, Migration, unterirdische Bahnhöfe), aber über die grundlegenden Staatsziele besteht doch im Wesentlichen Einigkeit. So ist es im Diskurs um die normative Ordnung des Internets auch. Doch da die Akteure divergenter sind, die Machtgefälle ausgeprägter, die Regulierungstechniken unerprobter und die normativen Prozesse erst in Beta-Stadium  sind, ist alles etwas komplizierter.
Natürlich liegt die „Integrität des Internets“ im Interesse der Staaten – und aller anderen Stakeholder. Hier liegt vielleicht ein Missverständnis vor: Denn Integrität heißt vereinfacht ausgedrückt „Funktionieren des Internets“. Es heißt nicht, dass sich Staaten der Internetzensur enthalten. Warum soll es der Integrität des Internets schaden, wenn Seiten, die der sexuellen Ausbeutung von Kindern dienen, entfernet werden? Der Kampf gegen Kriminalität und gegen Ausbetung im Netz dient gerade der Integrität des Internets, ebenso der Kampf gegen Cyber-Angriffe und das menschenrechtlich nicht unproblematische informations- und kommunikationstechnologische Hochrüsten. Ein Vergleich mag helfen: Niemand kann ernsthaft behaupten, dass der „Menschenrechtsschutz“ nicht im Interesse der Staaten liege. Und doch foltern Staaten und begehen andere – oft schwerwiegende – Menschenrechtsverletzungen. Dafür werden sie geächtet. Und mit der Zeit bessern sie ihr Verhalten (nicht nur, aber auch, das zeigt ja die Compliance-Forschung, die Michael zitiert, wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen. Gänzlich in Abrede stellen das ja nur die Völkerrechtnihilisten in der Tradition Goldsmiths und Posners.) Das Beispiel der Türkei zeigt, wie das internationale System (im letzten Jahr der EGMR) und auch nationale Gerichte auf Zensurmaßnahmen reagieren. Etwas zu unaufgeregt vielleicht, aber kein relevanter Akteur hätte ernsthaft den Twitter-Ban als Zeichen dafür gewertet, dass das Internetvölkerrecht keine Bindungskraft entfaltet.  
Michaels Argument, dass „[g]roße Konzerne und kleine Internetnutzer, Start-ups und Produktpiraten, Whistleblower und Hacker“ miteinander ringen, „ohne dass sich ihre divergierenden Interessen auf den gemeinsamen Nenner des „Schutzes der Integrität des Internets“ bringen ließen“, muss genau umgekehrt werden. Das Einzige, was sie alle verbindet, ist der Schutz der Integrität des Internets. Sonst können „große Konzerne“ kein Geld machen und „kleine Internetnutzer“ keine Videos mit niesenden Pandabären anschauen.

Ich nehme seit nun fünf Jahren regelmäßig an Konferenzen zur normativen Gestaltung des Internets teil. Hier wird hoch kontrovers diskutiert. Ich stelle daher kein „Postulat der Interessenhomogenität“ auf, sondern stecke nur einen Rahmen ab, innerhalb dessen über die konkrete Ausgestaltung der normativen Ordnung diskutiert wird. Ins Staatliche gewandt: Die Integrität des Internets, wie sie völkerrechtlich geschützt wird (normative wie positiv), entspricht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer diese in Abrede stellt, kann dann in Folge wenig sinnhaft über die konkrete Ausgestaltung des Staatswesens sprechen.
Die Verpflichtungserklärung von Tunis (2005) wird heute noch als Grundlage anerkannt und verdient es gelesen zu werden. Sie legt bei allen ihren Schwächen im Bereich der normativen Prozesse und der Interaktion der Stakeholder in klarer Sprache und mit offenem Visier die Zielvorstellung des Internetvölkerrechts fest. Abs. 2 und 3 können nicht einfach wegdiskutiert werden: 

„2. Wir bekräftigen unseren Wunsch und unsere Entschlossenheit, eine den Menschen in den Mittelpunkt stellende, inklusive und entwicklungsorientierte Informationsgesellschaft aufzubauen, gestützt auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und den Multilateralismus sowie unter voller Achtung und Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der  Menschenrechte, damit die Menschen auf der ganzen Welt Informationen und Wissen schaffen, abrufen, nutzen und austauschen können, um ihr Potenzial voll zu entfalten und die international vereinbarten Entwicklungsziele, einschließlich der Millenniums-Entwicklungsziele, zu erreichen.
3. Wir bekräftigen, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich des in der Erklärung von Wien verankerten Rechts auf Entwicklung, allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind. Wir bekräftigen außerdem, dass Demokratie, nachhaltige Entwicklung, Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten sowie gute Regierungsführung auf allen Ebenen einander bedingen und sich gegenseitig verstärken. Wir beschließen ferner, die Achtung vor der Herrschaft des Rechts sowohl in den internationalen als auch den nationalen Angelegenheiten zu stärken.“

 „2. Dem Internetvölkerrecht fehlt es an normativem Gehalt“
Michael Riegner argumentiert, dass dem Völkerrecht der normative Gehalt fehle, um nationale Internetpolitik „determinieren“ zu können. Ich stimme ihm zu, dass es ein langsamer, evolutionärer Prozess ist. Nur ist es nicht so, dass das Internetvölkerrecht Regeln neu erfinden müsste. Schon der UN-Menschenrechtsrat hat in Resolution 20/8 bestätigt, dass alle Menschenrechte die offline gelten, dies auch online tun. Niemand will (und niemand muss) neues „Internetvölkerrecht“ erfinden. Als „Internetvölkerrecht“ gelten eben auch jene menschenrechtliche relevanten Normen, die auf menschliche Tätigkeit im Netz angewandt werden. Michael müsste man also so verstehen, dass das globale Menschenrechtsschutzregime (das qua Relevanz für das Internet auch Bestandteil und sogar Fundament des Internetvölkerrechts ist) nicht in der Lage sei, staatliches Verhalten zu lenken. Damit hinterfragt er den Menschenrechtsschutz generell, da es ja in der Tat keinen dogmatisch wie rechtstheoretisch spannenden Unterschied macht, ob willkürliche Zensur eines Website oder einer Radiosendung völkerrechtlich untersagt wird.
Hier haben es jene einfach, die von der normativen Relevanz menschenrechtlicher Bestimmungen für staatliches Verhalten ausgehen, hat sich doch das Menschenrechtsschutzsystem über Jahre höchst effektiv gezeigt. Ja, im Einzelfall werden völkerrechtliche Normen verletzt. Ja, Staaten zensieren das Internet. Aber wie schon erwähnt: Staaten foltern auch, ohne dass dies das Folterverbot in Frage stellen würde. Mit Recht und mit Recht (nämlich mit Völkerrecht) werden sie dafür kritisiert. Ebenso kritisiert werden sollten die vagen Ausführungen des AB der WTO im Streitschlichtungsverfahren China-Audiovisual Services, auf das Michael Bezug nimmt. Aussagen zur langfristigen Entwicklung des Menschenrechtsschutzes von Online-Aktivitäten lassen sich aus dem Fall allerdings nicht entnehmen.

Das Internetvölkerrecht wird also nicht neu „erfunden“, sondern nur aus verschiedenen völkerrechtlichen Rechtsmaterien herausgelöst – also eher „gefunden“ und dann im Lichte der Dialektik zwischen Rechtfertigungsansprüchen und Rechtfertigungsnarrativen der Stakeholdergruppen de- und rekonstruiert.  Auch das ist ein langwieriger Prozess, aber bei weitem nicht so kontrovers wie Michael ihn sich vorstellt. 

Ich bezweifle auch nicht, dass Radio und Zeitung wichtig sind, aber das Internet hat doch aufgrund seiner Struktur und seines Emanzipationspotenzials ganz andere Wirkungen auf die menschliche Sozialität und Sozietät – und bedarf daher eines anderen Schutzes.
Ich sehe auch keinen Widerspruch in rechtswissenschaftlicher Begleitung von rechtspolitischen Prozessen, die in der Tat sehr dynamisch ablaufen: Ende April tagte in Sao Paolo NetMundial. Die dort in Multistakeholderprozessen entwickelten Prinzipien liefern wichtige Hinweise auf die Richtung, in die sich das Internetvölkerrecht bewegen wird. Sie sollten Pflichtlektüre werden für alle rechtlich wie politisch Interessierten. Auch der offenen, webbasierte, multistakeholder-orientierte Prozess ihrer Erarbeitung hat bei allen Schwächen Beispielcharakter für zukünftige normative Prozesse in ähnlich gelagerten normativen Konstellationen (Disclaimer: Ich war Mitglied im Exekutivkomitee, das den Text vorbereitet hat).

„3. Die Steuerungsfähigkeit des Internetvölkerrechts ist begrenzt“
Über Steuerungsfähigkeit des Völkerrechts wurden schon sehr viel geschrieben. Darauf verweise ich gerne auch in Bezug auf das Internetvölkerrecht. Es ist klar, dass es schwer ist, den Einfluss völkerrechtlicher Diskurse auf nationale Politikentwicklung im Einzelfall nachzuvollziehen. Allerdings zeigen Initiativen unterschiedlicher Akteure – Unternehmen, Staaten, Zivilgesellschaft  - dass sie sich zu völkerrechtlich beeinflussten Prinzipien zur Internet Governance bekennen. 

Es ist das Völkerrecht und das völkerrechtliche Menschenrechtsschutzregime, das es erst ermöglicht, über globale Überwachungsprozesse ernsthaft zu reden und diese zu kritisieren. Ohne Völkerrecht stünden wir Überwachten sehr nackt da.  

Die zitierte Compliance-Forschung macht wichtige Beiträge zu einem besseren Verständnis völkerrechtlicher Strukturen, doch ringt sie zu häufig mit in der Völkerrechtswissenschaft schon geschlagenen Schlachten. Wenn in dem zitierten Beitrag eingangs von der „anarchic nature of the international system“ die Rede ist und Fragen wie „Is international law really “law”?“ gestellt bzw zitiert werden (1), dann setzt eine gewisse Müdigkeit ein. Und ohne die Rolle von Indikatoren geringzuschätzen, mag auch der fast schon ideologische Fokus auf quantitative Forschungen in sozialwissenschaftlicher Literatur irritieren, da er normative Elemente ausblendet und regelmäßig blind ist gegenüber der der Empirie eingeschrieben sozialen Konstruiertheit. Anders formuliert: Auch Indikatoren sind Konstruktionen und auf ihnen beruhende Argumente ebenso reflexiv zu bewerten wie normative Ansätze. (Interessant, dass diese Diskussion auch im nationalen Kontext nicht ausbleibt.)

„4. Das Internetvölkerrecht muss Legitimitätsbedenken aus dem Globalen Süden selbstkritisch begegnen“
Dem kann ich nur zustimmen. Auch bin ich ganz bei Michael, wenn er schreibt, dass eine „universelle völkerrechtliche Ordnung des Internets […] nicht per se wünschenswert“ ist. Deswegen habe ich ja funktional argumentiert. Das Völkerrecht schützt das Internet nicht als Ding an sich, sondern als Mittel zum Zweck und der Zweck liegt u.a. im Menschenrechtsschutz und in der Förderung menschlicher Entwicklung. Ich bin auch bei Michael, wenn er kritisiert, dass zentrale Werte wie „Transparenz, Inklusivität und Accountability, Entwicklungsorientierung und Menschenzentriertheit“  dem Internetvölkerrecht „weder a priori eingeschrieben [sind], noch ist seine Zukunft automatisch darauf gerichtet“. Nicht a priori, nicht automatisch – aber normativen und positiv. Wer dies in Abrede stellt, ignoriert (oder missversteht) die Entwicklung von Internet Governance Prinzipien über die letzten Jahre, den Internet Governance Forum-Prozess und blendet die Diskussion bei NetMundial ebenso aus wie die parallel laufenden Prozesse im Rahmen mehrere UN-Unterorganisationen.

Ich bin ein großer Fan von „selbstbewusste[r] Völkerrechtspolitik im Globalen Süden“, doch das NetMundial in Sao Paulo stattgefunden hat, lag daran, dass Präsidentin Rousseff wütender war über die Abhöraktion der amerikanischen Sicherheitsbehörden als Bundeskanzlerin Merkel. Letztere meinte, so etwas gehörte sich nicht unter Freunden, erstere schlug bei der UNO-Generalversammlung ganz andere Töne an, präsentierte Prinzipien zur Gestaltung internationaler Internetpolitik und lud zu NetMundial ein (dies gemeinsam mit dem Chef von ICANN, der (auch) andere Interessen hatte, aber dies steht auf einem anderen Blatt). 

Nicht ganz zutreffend ist auch, dass Internetgipfel heute primär im Globalen Süden stattfinden. Diese sind dem Prinzip geographischer Neutralität folgend weltweit verteilt. Das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen fand bisher in Athen, Rio, Hyderabad, Sharm El Sheikh, Vilnuis, Nariobi, Baku und Bali statt. 2014 ist Istanbul an der Reihe. Und Genf bleibt weiter als Sitzungstadt relevant. Ein paar Tage nach NetMundial fand dort das Treffen der Working Group to examine the mandate of WSIS [the World Summit on the Information Society process] regarding enhanced cooperation as contained in the Tunis Agenda (Working Group on Enhanced Cooperation (WGEC)) statt. Schon der hochtechnische Titel zeigt, wie weit sich das Internetvölkerrecht entwickelt hat.  

“5. Kommunikative Völkerrechtswissenschaften als Zukunftsaufgabe”
Wieder ganz bei Michael bin ich, wenn er abschließend schreibt „Selbstkritik ist also wichtige Zukunftsaufgabe der Völkerrechtswissenschaft. Dazu gehört die Einsicht, dass Völkerrecht nicht nur juristischer Elitendiskurs sein darf.“  Ich würde verallgemeinern: der Diskurs um jede normative Ordnung muss ein Diskurs sein, an dem sich alle beteiligen, die von dieser normativen Ordnung betroffen sind. Das mag jetzt nach Habermas oder Rawls klingen (und in der Tat trennt uns ein Schleier des Nichtwissens vom Internet der Zukunft), doch sind die daraus zu ziehenden Schlüsse sehr real. Jedoch wir die Forderung – das muss kritisch eingestanden werden – stets in einem Spannungsverhältnis dazu stehen, dass sich in allen normativen Prozessen (auf lokaler, regionaler, staatlicher, internationaler Ebene) immer eher die (Funktions-, Geld-, Macht-, Wissens-)Eliten beteiligen. Ein Ansatz der helfen kann, ist jener der an meiner Arbeitsstelle hier in Frankfurt am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ verfolgt wird. Wir untersuchen die Spannung zwischen der normativen Kraft des Faktischen und der faktischen Kraft des Normativen integrativ aufzulösen. Dabei verstehen wird normative Ordnung wie die Gründer des Clusters Forst und Günther schreiben, als Rechtfertigungsordnungen, „die historisch gegründet sind und auf „Rechtfertigungsnarrativen“ beruhen. Sie zeichnen bestimmte Legitimationen aus, wobei Normen und Werte verschiedenster Art (Moral, Recht, Religion, um nur einige zu nennen) ineinander greifen bzw. Spannungen erzeugen. Solche Ordnungen legitimieren sich aus bestimmten Normen und bringen ihrerseits Normen hervor, doch stets in einem dynamischen Sinne.“ 

Eine normative Dynamik wird auch die Zukunft des Internetvölkerrechts prägen. In seinem Artikel in der aktuellen EJIL über The End of Geography: The Changing Nature of the International System and the Challenge to International Law schreibt Daniel Bethlehem, “[t]he international law dealing with cyber space is in its infancy […].” Er hat Unrecht: Das Internetvölkerrecht krabbelt nicht herum und nuckelt am Schnuller. Es ist schon in der Pubertät, hat Pickel (normative Auswüchse) und ist voller Hormone (schießt manchmal übers Ziel hinaus). Das macht es uns – wollen wir uns nun als Eltern, Lehrer oder einfach interessierte Nachbarn sehen – nicht einfacher. Doch wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen, in dem wir dem Internetvölkerrecht Relevanz oder Lenkungswirkung absprechen. Positiv stabilisierte wie normative Ansätze sprechen dagegen. Zu vielfältig sind die Wege der Effektuierung des Internetvölkerrechts und zu groß seine Relevanz und Lenkungskraft.